Viele Digitalisierungsvorhaben erreichen ihre Ziele nicht, was oft an einem grundlegenden Missverständnis liegt: Statt die Geschäftsprozesse in den Mittelpunkt zu stellen, liegt der Fokus häufig auf der Einführung neuer Software. Der Artikel argumentiert, dass Digitalisierung analog zum Handwerk – wie beim Schmied, dessen Können im Prozess der Metallbearbeitung liegt und nicht nur im Umgang mit dem Hammer – primär das Verständnis und die Optimierung von Prozessen durch digitale Werkzeuge bedeutet. Dieses falsche Verständnis führt zu Problemen, die den Erfolg gefährden.
Diesen Artikel kostenfrei im PDF-Format herunterladen: HSTGC_Stolpersteine_Digitalisierung_1_Missverstandene_Digitalisierung_Apr2025_DE.pdf (95 KB)Viele Digitalisierungsvorhaben scheitern. Mit dem Begriff „Scheitern“ ist hiermit nicht nur gemeint, dass ein geplantes Vorhaben vollständig abgeblasen wird, sondern (im Sinne des Scheiterns eines Projekts) auch, dass die ursprünglich angepeilten Ziele nicht erreicht werden, dass das volle Potential des Vorhabens nicht ausgeschöpft wird, oder dass zeitliche und finanzielle Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden können. So erweisen sich beispielsweise umgesetzte Massnahmen als nicht zielführend, erfahren eine geringe Akzeptanz oder treiben trotz erheblicher Investitionen mittel- und langfristig die Kosten nach oben, statt Vorgänge zu vereinfachen oder kostengünstiger zu gestalten.
Unsere Artikelreihe „Stolpersteine der Digitalisierung“ befasst sich mit einigen der Gründe, weshalb diese Probleme auftreten und wie man ihnen entgegenwirken kann. Dieser erste Teil erläutert dabei das an der Wurzel liegende Problem, das die konkreten Risiken, die in den weiteren Teilen näher beleuchtet werden, weitestgehend ursächlich hervorruft: nämlich ein grundsätzliches Missverständnis, dem viele Menschen beim Thema „Digitalisierung“ unterliegen – leider sind hiervon teilweise auch Fachpersonen und „Digitalisierungs-Anbieter“ betroffen, was ich in meiner Karriere als Digitalisierungsberater schon des Öfteren beobachten musste.
Um zu verstehen, warum Digitalvorhaben ihre Ziele so oft nicht erreichen und stattdessen Kosten und Aufwände verursachen, ohne einen angemessenen Ertrag zu liefern, müssen wir zunächst verstehen, was „Digitalisierung“ überhaupt bedeutet. Um das zu erreichen, schauen wir uns erst einmal das genaue Gegenteil von „Digital“ an – nämlich den klassischen Handwerksberuf des Schmiedes, den ich in diesem Zusammenhang gerne als Beispiel heranziehe.
Wenn sie spontan an einen Schmied denken, haben viele Menschen direkt ein sehr konkretes Bild vor sich – nämlich ein Schmiedefeuer, einen Hammer und einen Amboss. Aber geht es beim Schmiedehandwerk wirklich um diese drei Werkzeuge? Mitnichten – nur, weil ich mir eine Esse und einen Amboss ins Wohnzimmer stelle und mit einem Hammer wahllos auf ein Stück erhitztes Metall einprügele, bin ich längst noch kein Schmied und werde vermutlich auch kein brauchbares Ergebnis erzielen.
Und ganz nach dem Motto „Ein Werkzeug macht noch keinen Meister“ geht es beim Schmiedehandwerk eben nicht primär um die genutzten Werkzeuge, sondern vielmehr um den Prozess der Metallbearbeitung, der zunächst verstanden und erlernt sein muss, bevor er um die passenden Werkzeuge wie Hammer und Amboss ergänzt wird, um ein optimales Resultat zu erzielen. Umgekehrt kann ein geübter Schmied vermutlich auch mit improvisiertem Werkzeug ein ordentliches Resultat erzielen, da er eben den Kern der Sache, die Metallbearbeitung, grundlegend verstanden hat.
Nun, die Analogie ist nicht zufällig gewählt – denn in genau dem Masse, in dem es beim Handwerk des Schmieds nicht um die genutzten Werkzeuge, nämlich Hammer und Amboss geht, geht es bei der Digitalisierung ebenfalls nicht um die genutzten Werkzeuge (nämlich Computer und Software), sondern um die zugrundeliegenden Geschäftsprozesse.
In Analogie zum vorherigen Abschnitt ist ein Betrieb oder eine Organisation nicht einfach nur deshalb digital, weil sie Dinge, die vorher händisch erledigt wurden, plötzlich unter Einsatz von Computern und Software erledigt – digital ist man dann, wenn die zugrundeliegenden Geschäftsprozesse verstanden und in geeigneter Weise durch digitale Werkzeuge unterstützt werden. Genau so, wie der Amateur durch wildes Herumhämmern nie ein ordentliches Werkstück fabrizieren wird, wird ein nicht auf die bestehenden Geschäftsprozesse abgestimmtes Software-Werkzeug nie ein optimales Ergebnis liefern.
Zum allerersten Male konnte ich diesen Effekt im Zuge der zunehmenden Verbreitung von Digitalkameras Anfang der 2000er-Jahre deutlich beobachten: da urplötzlich viele Nebenkosten der Fotographie (Kosten der Filme, Entwicklung der Filme, Anfertigung von Papierabzügen) wegfielen, interessierte sich mit einem Male eine breite Masse für die Fotographie; grundsätzlich keine schlechte Sache, jedoch schien man der Meinung zu sein, dass die Anschaffung einer möglichst hochwertigen Kamera dazu führen würde, automatisch ein guter Fotograph zu werden.
Diese Erwartungshaltung wurde natürlich nicht erfüllt, denn die grundsätzlichen Prinzipien der Fotographie wie Bildkomposition oder die technischen Zusammenhänge zwischen Brennweite, Verschlusszeit und Blende hatten sich natürlich auch mit digitalen Kameras nicht geändert. Da diese aber durch die neuen Hobby-Fotographen nie erlernt wurden, blieben auch die kreativen Ergebnisse weit hinter den Erwartungen zurück. Gleichzeitig waren aber professionelle und ambitionierte Fotographen weiterhin in der Lage, auch mit billigen „Knipsbüchsen“ durchaus ansprechende Bilder zu produzieren – ein weiteres Beispiel dafür, dass das genutzte Werkzeug im Vergleich zum Verständnis des grundlegenden Prozesses eine überaus untergeordnete Rolle spielt.
Dieses grundsätzliche Missverständnis, dass bei Digitalisierungsvorhaben Werkzeuge wie Computer und Software im Mittelpunkt stehen müssen, führt in der Praxis zu einer ganzen Reihe zu Problemen ganz unterschiedlichen Charakters, die jeweils bereits für sich allein genommen ein erhebliches Risiko für den Erfolg eines Digitalprojekts darstellen können.
Kurz und knapp gesagt: Bei der Digitalisierung geht es gar nicht wirklich um Computer und Software – während zwar Digitalisierung ohne Computer und Software nicht möglich ist, stellen diese aber lediglich Werkzeuge dar, die das Potential bieten, Prozesse effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Wenn dabei aber nicht der zu digitalisierende Prozess im Mittelpunkt steht, sondern, wie häufig beobachtet, die genutzten Werkzeuge (nämlich das konkret für eine Aufgabe genutzte Software-Produkt), kann dieses Potential gar nicht wirklich entfaltet werden. Dies resultiert im schlechtesten Falle in einem kompletten Scheitern des Vorhabens, in jedem Fall aber in einem nicht optimalen Ergebnis.
In den nächsten Teilen werden wir uns auch anhand von Beispielen aus meiner beruflichen Praxis näher mit den konkreten Fehlern, die in Zusammenhang mit Digitalisierungsprojekten häufig gemacht werden, auseinandersetzen und betrachten, wie diese Fehler und die daraus resultierenden Defizite und Probleme vermieden werden können.
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